Causa Marx: Hat ein Brief aus seinem früheren Bistum ihn beeinflusst?

Veröffentlicht am 10. Juni 2021 um 10:00

MÜNCHEN/TRIER ‐ Über die Gründe von Reinhard Marx' Rücktrittsgesuch wird spekuliert. Seine Zeit als Bischof von Trier könnte dabei eine größere Rolle gespielt haben als zunächst vermutet. Zuletzt erhielt der Kardinal von dort einen persönlichen Brief.

Auch eine Woche nach dem - inzwischen abgelehnten - überraschenden Rücktrittsgesuch des Münchner Erzbischofs Reinhard Marx an Papst Franziskus wird weiter über Motive und Hintergründe spekuliert. Eine Vermutung ging bisher davon aus, der Kardinal wolle damit der in den nächsten Monaten erwarteten Veröffentlichung eines Gutachtens der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl (WSW) zuvorkommen. Die Juristen haben in seinem Auftrag mögliches Fehlverhalten Münchner Amtsträger im Umgang mit Missbrauchsfällen untersucht, was auch Marx' Amtszeit einschließt, die im Februar 2008 begann. Möglicherweise spielt aber seine Bischofszeit davor in Trier (ab 2002) eine größere Rolle für seine Entscheidung als bisher vermutet.

Knapp sechs Jahre war Marx Bischof im ältesten Bistum Deutschlands. In der Zeit wurden mehrere Fälle von sexuellem Missbrauch durch Kleriker bekannt, die kein gutes Licht auf den Umgang des Bistums und seines Bischofs mit Vorwürfen gegen Priester werfen. Es war die Zeit vor dem Skandaljahr 2010 - eine Zeit, in der Strukturen und Verhaltensweisen in der Kirche Missbrauch noch erheblich leichter möglich machten als heute und in der die mutmaßlichen Täter meist geschützt wurden.

Betroffene aus dem Bistum Trier werfen Marx persönliches Fehlverhalten vor. Als Bischof habe er dazu beigetragen, Täter zu schützen, Gespräche mit Betroffenen zu verweigern, Menschen einzuschüchtern und Missbrauch zu verharmlosen, so der Verein "Missbrauchsopfer im Bistum Trier" (Missbit). In ihm sind rund 30 Betroffene und ihre Fürsprecher vernetzt.

Zwei Fälle

Im Zusammenhang mit Marx werden immer wieder zwei Fälle genannt: der Fall Freisen im Saarland sowie der erst spät bekannt gewordene Fall einer erwachsenen Frau, die unter dem Pseudonym Karin Weißenfels von geistlich-sexuellem Missbrauch durch einen Priester und dessen Komplizen berichtete, und die dem damaligen Bischof zu viel Nachsicht mit den Tätern vorhält. Missbit-Sprecher Hermann Schell geht davon aus, dass bei genauer Betrachtung "weitere Fälle auftauchen" könnten.

Dem Verzicht des Kardinals auf das Bundesverdienstkreuz ging lautstarke Kritik aus Betroffenenkreisen voraus, insbesondere aus Trier. Nun lässt eine weitere Wendung aus Trier aufhorchen: Vor wenigen Wochen wandte sich ein Betroffener in einem sechsseitigen persönlichen Brief, datiert auf den 3. Mai, an Kardinal Marx. "Ich bin derjenige, welcher 2006 den Freisener Pfarrer M. bei der Polizei angezeigt hat", schreibt Timo Ranzenberger.

Gegen den früheren Freisener Priester hatte die Staatsanwaltschaft 2006 ermittelt, das Verfahren aber wegen Verjährung eingestellt. Marx soll informiert gewesen sein, aber - trotz anderslautender Richtlinien der Bischofskonferenz - weder die Akten der Staatsanwaltschaft angefordert noch mit dem Betroffenen gesprochen haben. Nach den Maßstäben des jüngsten Kölner Gutachtens hätte er damit eine Pflichtverletzung begangen. Dessen Hauptautor Björn Gercke hatte bei der Vorstellung der Studie überdies erwähnt, dass bei Sichtung von Kölner Akten auch Trierer Unregelmäßigkeiten zutage getreten seien. Der Fall Freisen wird in der Gercke-Studie jedoch nicht erwähnt.


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